Mit Gottes Volk am Xingu

„Gottesliebe und Nächstenliebe sind untrennbar.“ Dieser Satz zieht sich durch das Leben und die Arbeit von Dom Erwin Kräutler, dem Bischof in Xingu in Brasilien. Von seinen Gegnern diffamiert und mit dem Tod bedroht, erhielt er am 6. Dezember 2010 den „Right Livelihood Award“, den Alternativen Nobelpreis.

Right Livelihood Award 2010-award ceremony-DSC 7972-2(c) Holger Motzkau – wikimedia.commons
„So Gott will, gibt es von denen in 20 Jahren keinen Einzigen mehr.“ Dies waren die Worte, die Erwin Kräutler hörte, als er 1965 wenige Monate nach seiner Priesterweihe nach Belém, der Hauptstand des Bundesstaates Para, kam. Es war nicht die Rede von Schädlingen, sondern von den Indios, den indigenen Einwohnern Brasiliens. Seit seine Onkel, Brüder seiner Mutter, 1934 nach Brasilien ausgewandert waren und von dem Leben und den Gebräuchen der Indios berichteten, wusste er von ihren großen Problemen und ihrer Unterdrückung. Als Missionar wollte er sich für ihre Anliegen engagieren, wie er in seinem Buch „Kämpfen, glauben, hoffen“ schrieb. Zu dieser Zeit hatten die Indios noch nicht einmal volle Rechte als Staatsbürger, sondern waren als Mündel dem Staat unterstellt, in dessen Gesellschaft sie eingegliedert werden sollten. Erst 1988 wurden ihre Rechte, ihre Kultur, ihre Sprachen und ihr Land anerkannt. Zumindest auf dem Papier.

Seit 1965 war Erwin Kräutler erst als Pastor und dann ab dem 25. Januar 1981 bis heute als Bischof mit seinem Volk am Xingu unterwegs. Und viel unterwegs war er im wörtlichen Sinn. In dem riesigen Bundesstaat (368000 km2) an und auf einem der größten Nebenflüsse des Amazonas mit über 2000 km Länge sind große Entfernungen zu überbrücken. Mit dem Flugzeug, Schiff, Auto oder zu Fuß reiste er zu den Basisgemeinden, predigte, feierte die Eucharistie und die Erstkommunion. Jedoch beschränkte sich sein Dienst nicht auf die Erfüllung von kirchlichen Pflichten. Wie Jesus es vorgelebt hat, solidarisierte er sich mit den Armen und häufig Unterdrückten: den Indios, den Kleinbauern, den landlosen Arbeitern und ihren Familien. Er teilte ihr Leben mit ihnen und unterstützte sie in ihrem Kampf um die tatsächliche Durchsetzung ihrer verbrieften Rechte. Denn er lebte konsequent seine Überzeugung, dass die Kirche und ihre Mitarbeiter nicht fern und unerreichbar für ihre Mitglieder sein, sondern mit ihnen leben sollten. Und wenn nötig, deren Schicksal in Solidarität und Nächstenliebe bis zur letzten Konsequenz teilen. Denn „es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“ (Johannes 15, 13). Das war der Ausdruck einer missionarischen Kirche, die nicht die Kultur der Indios mit einer westlichen Kultur zu überschreiben versuchte. Sie integrierte sich in deren Kultur, akzeptierte ihre Bräuche und demonstrierte den Glauben durch eine bedingungslose Nächstenliebe. Diese Nächstenliebe wurde viele Male im Leben Dom Erwin Kräutlers, vieler Pastoren, Laienmitarbeiter, Schwestern und Brüder sichtbar. Das Leben der Indios und vieler Bewohner Amazoniens war bis in die Gegenwart von Armut, Krankheit und Gewalt geprägt. Weil Großgrundbesitzer und Firmen auf die Übernahme des Landes aus waren, griffen sie zu allen Mitteln, um in dessen Besitz zu kommen. 1965 ließ ein Kautschukproduzent im Bundesstaat Mato Grosso ein ganzes Indiodorf auslöschen („Massaker vom Breitengrad 11“). Am Xingu wurden die Arara-Indios ermordet und vertrieben, als durch ihr Gebiet eine Straße zwischen Altamira und Santarém gebaut werden sollte. Die Indios wurden erschossen, starben durch Stromschläge an den Zäunen neu errichteter Militärbaracken, als sie versuchten, Kontakt mit den Söldnern aufzunehmen, oder wurden mit Hunden gejagt. Die Täter wurden nie belangt.

Die indigenen Bewohner Brasiliens  wurden nicht als vollwertige Staatsbürger anerkannt. Ihre unmenschliche Behandlung wurde daher von manchen Brasilianern, die nicht zu den Indios gehörten, als legitim erachtet. Von 1986 bis 1988 wurde eine neue Verfassung erarbeitet. Dom Erwin Kräutler setzte sich mit den Indios und dem Indianermissionsrat für die Anerkennung der Rechte der Indigenen ein. Er verhandelte mit Senatoren, Abgeordneten und anderen Entscheidungsträgern. Außerdem steuerte er Vorschläge zur Ausarbeitung der Rechte der Indios bei. Dieses Engagement hatte seinen Preis. Wie er selbst schrieb, teilte sich sein Leben in einen Teil vor und nach dem 16. Oktober 1987 auf. Mit drei Mitfahrern war er auf der Transamazonica (Straßenbauprojekt, das einmal die West- und Ostküste Südamerikas auf Höhe des Äquators verbinden soll, noch nicht fertiggestellt) unterwegs, als auf einer Anhöhe ein entgegenkommendes Auto absichtlich frontal in sein Auto gelenkt wurde. Einer seiner Mitfahrer, Pater Tore, wurde getötet. Er selbst wurde schwer verletzt und war sechs Wochen ans Krankenbett gefesselt. Seinen Einsatz verhinderte diese Tat jedoch nicht. Durch das Engagement der Indios und ihrer Unterstützer wurden die Rechte der Indios 1988 endlich in der Verfassung verankert.

Die Solidarität und der Einsatz, den Dom Erwin Kräutler für die Belange der Indios und anderer armer Menschen in Amazonien zeigte, wurde von diesen hoch geschätzt. Die Kazike der Indios Kayapó haben ihn ehrenhalber adoptiert. Der Empfang in den kleinen Basisgemeinden war äußerst herzlich, weil sie wussten, dass ihr Bischof für sie kämpfte und nicht fern von ihnen leben wollte, sondern bei ihnen.

Doch ein Ende der Gewalt bedeutete nicht die verfassungsgemäße Anerkennung ihrer Rechte. Auch heute noch kämpfen die Indios um ihren Besitz. Von den 1023 indigenen Territorien waren 2009 nur 322 vollständig anerkannt. Und jeder juristische Schritt wird durch Klagen von Großgrundbesitzern und Unternehmen, die das Land zum Ackerbau oder zur Viehzucht oder Ausbeutung der natürlichen Ressourcen nutzen wollen, behindert. Indios und andere, die sich dagegen wehren, werden eingeschüchtert, vertrieben, ermordet.

Dom Erwin Kräutler setzte sich mit den Führern der betroffenen Indios für die Anerkennung der Territorien ein. Besonders sein Einsatz gegen den Bau des Staudamms Belo Monte am Xingu war gefährlich. Seit 2006 lebt er nach dem Erhalt von Morddrohungen unter ständigem Polizeischutz. Immer wieder griff er den Bau scharf an und verwies auf die dramatischen Folgen für die Menschen und die Umwelt. Mehr als 40000 Menschen würden umgesiedelt, ohne dass die vorgeschriebenen Anhörungen und Überprüfung der Auswirkungen auf die Umwelt sorgfältig durchgeführt wurden. Das Grundwasser in der Region werde um 80% zurückgehen. Ein Gebiet von 516 km2 (die Größe des Bodensees) werde überflutet. Auch wenn sein eigenes Leben und das Leben der Menschen gefährdet waren, ließ er nicht von seinem Handeln ab. Wie er mit den Worten des Apostels Paulus schrieb: „Wenn Gott für uns ist, wer kann dann gegen uns sein?  [...] Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Dämonen, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges […] können uns von der Liebe Gottes trennen, die er uns in Jesus Christus, unserem Herrn, schenkt“ (Römer 8, 31-39).

Am 4. Februar 2014 wurde der letzte Prozess gegen den Bau von Belomonte im Sinne der Bauherren entschieden. Nun geht der Kampf darum weiter, die Folgen für die 40000 Menschen, die zwangsumgesiedelt werden, zu mildern. Es geht um den Bau menschenwürdiger Unterkünfte und den Bau einer Infrastruktur (Schulen, Krankenhäuser, Straßen). Die seelischen Folgen für die Menschen, die aus ihrer naturnahen Lebensweise gerissen werden, sind nach den Worten von Dom Erwin Kräutler nicht abzusehen.

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