Konzern mit Gewissen?
„Eigentlich geht es doch allen Unternehmern immer nur ums Geld – anders läuft es in dieser Welt nun einmal nicht.“ – Wirklich? Der Unternehmer Heinz-Horst Deichmann will Menschen helfen und dienen – und baute auf dieser Idee ein Geschäftskonzept auf, in dem es um mehr geht als um billige Schuhe. Wie er das gemacht hat?
Bei dem Wort „Deichmann“ denkt man an Schuhe. Vielleicht auch an das Wort „billig“ oder „Schuh-Aldi“. Vielleicht erinnert man sich auch an den etwas chemischen Geruch, der einem in die Nase steigt, wenn man eine Deichmann-Filiale betritt. Alles in allem liegt die Vermutung nahe, es handle sich bei Deichmann um ein Ausbeuterunternehmen. Doch weit gefehlt. Im Firmenleitbild von Deichmann weht ein ganz anderer Wind. Es orientiert sich am christlichen Menschenbild und verpflichtet das Unternehmen dazu, den Menschen zu dienen und nicht den Gewinn zum alleinigen Ziel zu machen. Der bestmögliche Preis sei sogar eine soziale Verpflichtung, damit sich jeder Käufer die Schuhe leisten kann. Bei der Herstellung der Produkte wird darauf geachtet, dass menschliche Bedingungen herrschen. Deichmann hat einen Verhaltenskodex unterschrieben. Damit wird gewährleistet, dass die Deichmann-Schuhe weder durch Zwangs- noch Kinderarbeit hergestellt werden. Es gibt keine Misshandlungen oder Lohnabzüge, die Arbeitszeiten liegen unter 48 h pro Woche und die Bezahlung nicht unter den üblichen Sätzen der Region. Deichmann geht jedoch noch weiter und lässt die Einhaltung dieser Grundsätze bei der Fertigung durch eine selbstgegründete Kooperation überprüfen und hat sich auch dazu verpflichtet die Sicherheit am Arbeitsplatz, den Umweltschutz und die Entsorgung von Abfällen zu verbessern. Bei den firmeneigenen Qualitätstests verpflichtet sich Deichmann zu schärferen Schadstoffgrenzwerten als die gesetzlich vorgeschriebenen Standards es verlangen.
Für seine Mitarbeiter in den Filialen bietet Deichmann einen sicheren Arbeitsplatz und zahlt im Branchenvergleich einen überdurchschnittlichen Lohn. Für private Engpässe gibt es einen Notgroschen, nach mehrjähriger Beschäftigung bekommen die Mitarbeiter eine Gesundheitswoche in der Schweiz auf Kosten der Firma, nach zehn Jahren Beschäftigung eine Betriebsrente. Ein straffällig gewordener Angestellter wurde sogar von den Führungskräften im Gefängnis besucht und erhielt nach seiner Entlassung seine Stelle in der Verkaufsleitung zurück.
Da drängt sich doch die Frage auf, wie man dennoch so günstig Schuhe verkaufen kann. Dies liegt anscheinend daran, dass Deichmann seine Schuhe ohne Zwischenhändler bezieht und mit jedem Paar Schuhe nur wenige Cent Gewinn macht. Natürlich ist es auch von Vorteil, wenn man pro Jahr etwa 165 Millionen Paar Schuhe verkauft.
Allerdings täuscht das Firmenleitbild nicht darüber hinweg, dass die meisten Deichmann-Kunden nicht Kunden sind, weil sie sich andere Schuhe nicht leisten könnten, sondern weil hier Angebote locken, wie z.B. drei Paar Schuhe zum Preis von zwei. Mit Nachhaltigkeit hat das, meiner Meinung nach, nichts zu tun, denn die meisten der gekauften Schuhe, sind bereits, nach einer Saison ausgetragen und werden weggeworfen oder vermodern in Schränken.
Dennoch klingen die meisten Ansätze der Firma in den heutigen Zeiten fast unglaubwürdig. Sind wir es doch gewohnt, dass in der Produktion und im Verkauf von Kleidung keine Rücksicht auf die Situation der Arbeiter genommen wird. Als Entschuldigung dafür hört man, der Kunde wolle günstige Kleidung und die könne nun mal nicht anders produziert werden. Heinz-Horst Deichmann beweist das Gegenteil: „Gewinnmaximierung um jeden Preis ist für mich nichts anderes als Auspressung. Ich sorge für einen ordentlichen, betriebsnotwendigen Gewinn. Mehr braucht es gar nicht.“ Und dass er es mit diesem Prinzip zu etwas gebracht hat, beweisen die Zahlen. Deichmann-Schuhe kann man nun seit 100 Jahren kaufen mittlerweile in 23 verschiedenen Ländern, in 3325 Fialen bei 33.700 Mitarbeitern. Heinz-Horst Deichmann ist mit dem Schuhe verkaufen reich geworden. Mit einem Vermögen von stolzen 4,3 Milliarden Dollar schafft er es auf Platz 15 der reichsten Deutschen (Stand 2010). Aber wer ist die Person, die dieses Familienunternehmen soweit gebracht hat?
Heinz-Horst Deichmann wird 1926 in Essen-Borbeck als fünftes Kind geboren. Sein Vater Heinrich ist Schumacher und eröffnet 1913 das erste „Deichmann“-Schuhgeschäft. Die Familie ist sehr gläubig und in einer evangelisch-freikirchlichen Gemeinde aktiv. Am Esstisch wird in der Bibel gelesen, die Kinder gehen in die Sonntagsschule und den Kindergottesdienst. Als Heinrich Deichmann im Jahre 1942 im Alter von 52 Jahren an einem Schlaganfall stirbt, muss die Familie zusammenhalten, um den Laden weiterzuführen. Auch Heinz-Horst hilft neben der Schule unter anderem als Laufbursche im Laden mit. Er besucht das Gymnasium und ist Klassenbester. Doch mit 16 Jahren wird er eingezogen und muss 1944 an die Ostfront, wo er kurz vor Kriegsende verwundet wird und sich dann zu Fuß auf den Rückweg nach Borbeck zu seiner Familie macht.
Nach dem Krieg holt er sein Abitur nach und beginnt ein Theologiestudium. Parallel kümmert er sich um das Schuhgeschäft und beginnt ein Medizinstudium. Auch wenn er viel Freude an der Theologie hat, beschließt er sich auf das Medizinstudium und den Schuhhandel zu konzentrieren. Er lernt seine Frau Ruth Fischer kennen und die beiden heiraten 1950. Auch sie unterstützt den Schuhladen, besonders nachdem eine zweite Filiale in Düsseldorf eröffnet wird. Die beiden bekommen drei Töchter und einen Sohn, Heinrich, der später Deichmann übernimmt.
Heinz-Horst schließt sein Medizinstudium ab, promoviert und macht seine Facharztausbildung zum Orthopäden. 1956 wird er jedoch alleiniger Inhaber der Firma und arbeitet von nun an nicht mehr als Arzt. Danach folgt ein stetiges Wachstum des Unternehmens in Deutschland und im Ausland. Zunächst in der Schweiz, dann in den USA, Niederlande, Polen…
Solche Erfolgsgeschichten sind zwar auch in der heutigen Zeit noch beeindruckend, besonders aber wird diese Erfolgsgeschichte dadurch, dass Dr. Heinz-Horst Deichmann in allem was er tut seinen christlichen Glauben lebt. Ob es nun um das Geschäft, oder um die Möglichkeiten geht, die ihm sein Reichtum bietet. Einen Teil seiner Gewinne nutzt er immer für Menschen in Not: seine Mitarbeiter und Menschen im In- und Ausland. Zum Beispiel kaufte er in den 1960er Jahren zum zweiten Mal das Haus der Familie in Borbeck, da das Geld für den Kauf in der Nazi-Zeit nicht an die jüdischen Besitzer gegangen war, sondern von der Regierung einbehalten wurde. Im Inland baute er ein Kinderheim, ein Freizeitheim für Gruppen aus schwierigem sozialem Umfeld. Er gründete einen Verein zur Vorbeugung von Obdachlosigkeit in welchem Sozialarbeiter als Hilfe bereitstehen.
Johannes Rau sagte 2003 in einer Laudatio anlässlich Deichmanns Aufnahme in die „Hall of Fame“ der deutschen Wirtschaft: „Ich selber, der ich zwanzig Jahre Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen war [...], ich selber habe es gelegentlich erlebt, wenn da ein Mensch zwischen die Maschen zu fallen drohte. Wenn kein Bundessozialgesetz und keine andere Reichsverordnung half und man etwas brauchte, etwa den ersten Bus, den ersten Krankenwagen für Leipzig nach dem Fall der Mauer im November 1989. Dass dann der Anruf bei Deichmann hilfreich war: „Können Sie nicht helfen?“ Diesen Mann bewegt der geschäftliche Erfolg, diesen Mann bewegt, dass das nicht nutzlos sein darf, was man wirtschaftlich unternimmt. Dass der Nutzen aber nicht darin besteht, dass man sich selber bekräftigt.“
Diese Einstellung zeigt sich auch 1977 in der Gründung des Hilfswerks wortundtat. Wortundtat soll mit seinen Hilfsprojekten nicht nur das Leid der Menschen in Entwicklungsländern mindern, sondern den Menschen auch das Evangelium näher bringen. Wichtig war es Heinz-Horst Deichmann dabei nicht nur zu helfen, sondern den Einheimischen Perspektiven zu bieten. So ist in den Projekten neben der medizinischen Versorgung die Bildung und Ausbildung zu Berufen ein zentraler Punkt. Das erste Projekt von wortundtat war der Bau eines Lepra-Dorfs in Indien zusammen mit dem Indischen Partner AMG (Advancing the Ministries of the Gospel). Hier ging es neben der Bekämpfung der Krankheit auch darum, den Betroffenen eine Zukunft durch Ausbildung und Arbeit zu bieten, indem ein Schulsystem bis zum College aufgebaut wurde.
Um die Gesundheit der Kinder in Indien zu verbessern, setzt sich wortundtat dafür ein, dass jedes Kind einen Viertelliter Milch pro Tag bekommt und zweimal pro Jahr eine Vitamin-A-Lösung, um Mangelerscheinungen vorzubeugen. So wird die medizinische Basisversorgung der Slumbewohner auch durch „Free Clinics“ gewährleistet. Nachdem durch dieses und viele andere Hilfsprojekte der Kampf gegen Lepra in Indien so gut wie gewonnen wurde, setzte sich wortundtat neuere Ziele, wie die Bekämpfung der Tuberkulose und den Bau von Altenheimen.
Seit 1995 unterstützt Deichmann nun auch intensiv das Projekt KIUMA in dem kleinen Dorf Matemanga in Tansania. Zunächst sollte hier neben einer medizinischen Grundversorgung auch die Ausbildung in handwerklichen Berufen ermöglicht werden. Mittlerweile gibt es hier ein Krankenhaus mit der Möglichkeit für Operationen und einer Mutter-Kind-Station. Um Arbeitskräfte für das Krankenhaus zu gewinnen, wurde eine Schwesternschule gebaut. Es wurden Landwirtschaftsprojekte ins Leben gerufen, Schulen und Brunnen gebaut, aber auch Wohnhäuser mit Wasser und Strom versorgt, um qualifizierte Ärzte aus Tansania für die Arbeit im Busch zu motivieren.
Seine zahlreichen Projekte zeigen, was ihm wichtig ist. Menschen in Not zu helfen, vor allem aber ihnen durch eine Ausbildung und medizinische Basisversorgung die Möglichkeit zu bieten, sich selbst zu helfen. Besonders dabei ist auch, dass er sich sehr persönlich um seine Projekte kümmert. Er lebt den christlichen Glauben und versucht diesen an die Menschen weiterzugeben, indem er z.b. direkt mit den Einheimischen ins Gespräch tritt.
Heinz-Horst Deichmann sieht seinen Erfolg auch als Verantwortung, anderen zu helfen, denen es nicht so gut geht und seine Gewinne nicht auf Kosten anderer einzufahren. Damit zeigt er eindrucksvoll: Man muss nicht skrupellos sein, um reich zu werden. Die Wirtschaft muss den Menschen dienen und nicht sich selbst.
So sagt Deichmann selbst: „Gott hat seine eigene Ökonomie. Am Anfang stehen seine Geschenke an uns: die Natur, das Leben, die Liebe. Wir, seine Ebenbilder, seine Mitarbeiter, kommen ihm nahe, wenn wir verstehen, dass uns eigentlich nur gehört, was wir verschenken. Das Geben seliger ist als Nehmen. - Am Ende meines Lebens wird Gott mich nicht fragen, wie viele Schuhe ich verkauft habe. Er wird wissen wollen, ob ich wie ein wahrer Christ gelebt und das Evangelium verkündet habe.“